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Vom Motor zum Antriebssystem

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maxon entwickelt sich immer stärker vom Bauteil- zum Systemlieferanten. Als Bauteile sind Motoren, Getriebe, Encoder sowie Drehzahl- und Positionsregler zu verstehen. Ein System dagegen ist hier eine komplette Antriebslösung, die als mechatronische Einheit und als Subsystem in einen grösseren Kontext eingebunden wird. Der Fokus liegt auf der zu erfüllenden Gesamtfunktion und nicht mehr auf den im Detail verwendeten Bauteilen.

Ausgangslage ist ein kundenspezifisch angepasstes Bauteil, genauer ein Flachmotor. Zur besseren Kühlung ist der Rotor mit Löchern versehen. Zudem ist ein spezieller Kabelanschluss mit Stecker gefordert, um die vom Kunden beigestellte Motorsteuerung einzubinden. Die genaue Funktion des Motors und seine mechanischen und elektrischen Schnittstellen sind zunächst nicht bekannt. Erst intensivere Kontakte mit dem Kunden ergeben, dass der Motor ein Robotergelenk über ein Getriebe antreibt. Hier bietet sich eine stärker integrierte Gesamtlösung an, denn es herrschen stark eingeschränkte Platzverhältnisse. Die Montagesituation der bestehenden Lösung ist komplex, und mehrere Zusatzfunktionen werden benötigt.


Mechanische Anforderungen
· Kleine Drehzahlen und hohe Drehmomente verlangen eine Motor-Getriebe-Lösung
· Bewegungsumfang am Getriebeabgang ca.120°
· Blockieren des Gelenks bei Stromausfall (Haltebremse)
· Möglichkeit, die Blockade zu lösen; System darf nicht selbsthemmend sein
· Kabeldurchführung für Leitungen, die durch die Hüfte gehen

Elektrische und elektronische Anforderungen
· Ansteuerung des bürstenlosen Motors (Kommutierung, Strom- und Drehzahlregelung)
· Kommunikation mit übergeordneter Steuerung (Master)
· Winkelsensor im Motor und am Getriebeabgang, Positionsinformation geht an Master

All dies findet im Kontext eingeschränkter, vorgegebener Abmessungen und Gewichtsverhältnisse statt. Im Weiteren sind die Emissionen (Temperatur, Vibrationen, und hörbare Geräusche) klein zu halten. Da der Antrieb batteriebetrieben ist, soll er möglichst energieeffizient arbeiten. Und natürlich sind die Kosten zu berücksichtigen.


Diese Anforderungsliste zeigt exemplarisch die Aspekte, die es bei einer integrierten Lösung zu beachten gilt und die nur mit intensivem und offenem Gedankenaustausch zwischen Kunde und Systemlieferant geklärt werden können.

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Systemabgrenzung

Zunächst stellt sich die Frage, was alles zum System gehören soll. Wo sind sinnvolle Systemgrenzen anzusetzen unter Berücksichtigung der zu erreichenden Funktionalität? Wie sieht die Systemumgebung, wie sehen die elektrischen und mechanischen Schnittstellen aus? Wie werden die Informationen ausgetauscht, und wie kommunizieren Endbenutzende mit dem Gesamtsystem?

Bei der Entwicklung von komplexeren Systemen sind meist Personen mit unterschiedlichen Sichtweisen und unterschiedlichem Wissenshintergrund beteiligt. Wie kann man die Kommunikation optimal gestalten, sodass alle dasselbe verstehen und dieselben Ziele verfolgen? Eine Black-Box-Betrachtung, wie oben skizziert, kann helfen. Sinnvoll ist auch eine Top-down-Herangehensweise, die sich nicht in Details verliert. Ein weiterer Aspekt, der häufig bei Gesamtsystemen vernachlässigt wird: Wie können die Bedürfnisse von Endbenutzenden berücksichtigt werden?
 

Systeme spezifizieren

Der Auslöser für eine Systementwicklung kann wichtige Hinweise zur Formulierung des Zielkatalogs enthalten. Ist es eine Neuentwicklung? Handelt es um die Verbesserung einer bestehenden Lösung? Warum ist die bestehende Lösung unbefriedigend? Grundlage einer Spezifikation ist immer eine Situationsanalyse: Worum geht es, und welche Ziele sollen erreicht werden? Wie sieht der Systemkontext aus? Wichtig ist, dass der Zielkatalog lösungsneutral formuliert wird, d. h. es soll keine Lösung angedeutet werden. Zum Beispiel kann man sich im obigen Beispiel fragen, ob das Blockieren bei Stromausfall nur mittels Haltebremse erreicht werden kann oder vielleicht auch durch ein selbsthemmendes Getriebe.

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Lösungen

Der Zielkatalog dient als Basis, um Lösungsvarianten zu erarbeiten, die dann auf ihre Tauglichkeit beurteilt werden. Mögliche Lösungen basieren häufig auf bestehenden Produkten. In diesem Zusammenhang ist die von maxon entwickelte Produktplattform wichtig. Sie erlaubt bei der Systementwicklung einen Rückgriff auf bestehende und erprobte Bauteile, die zudem rasch angepasst werden können. Dies verkleinert das Entwicklungsrisiko in technischer, zeitlicher und ökonomischer Hinsicht.

Systeme von maxon sind meist im mechatronischen Umfeld zu Hause. Sie verbinden mechanische und elektronische Komponenten: Mechanik, Aktuatoren, Sensoren, Steuerungen. Dabei spielt Software eine immer wichtigere Rolle, zum Beispiel in Form von Steuerungs-Firmware oder als Programm, das eine ganze Anlage steuert.

«Wenn Lösungsvarianten beurteilt werden, ist sicherzustellen, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird.»

Wenn Lösungsvarianten beurteilt werden, ist sicherzustellen, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird. Zum Beispiel sind für den Kunden die Kosten für ein Gesamtsystem im Vergleich zu den Kosten für individuelle Bauteile unter Berücksichtigung der Mehraufwände für Schnittstellen und Montage aufzurechnen.
 

Ökonomische Randbedingungen

Integraler Bestandteil der Situationsanalyse ist, ob und wann sich eine Neuentwicklung lohnt. Welche Stückzahlen sind in welcher Zeit zu erwarten? Dazu sind realistische Marktabschätzungen nötig. Es muss geklärt werden, ob die Entwicklungs- und Werkzeugkosten auf den Produktpreis geschlagen oder separat als einmalige Fixkosten (NRE-Kosten, Non Recurring Engineering Costs) abgerechnet werden. Grundsätzlich kann eine Wirtschaftlichkeitsberechnung (NPV, Net Present Value) als Basis zur ökonomischen Projektbeurteilung dienen. Weitere Kriterien sind aber auch der strategische Fit und eine Risikoabschätzung.


Neben den hier skizzierten Aspekten gilt grundsätzlich die Vorgehensweise, wie sie im Buch «Auslegung von hochpräzisen Kleinstantrieben» ausgeführt ist.
 

Übrigens

Die vorgeschlagene Lösung für das Roboter-Hüftgelenk besteht aus dem ursprünglich gewählten Flachmotor – allerdings mit integrierter elektronischer Ansteuerung (auf Basis eines maxon ESCON Servokontrollers) und kombiniert mit einem Sondergetriebe. Motor- und Getriebepositionen werden über integrierte Encoder ermittelt. Die speziell konstruierte Haltebremse wirkt direkt auf den Rotor des Motors und ist im kompakten Gehäuse untergebracht. Für den Kunden vereinfacht und verkürzt sich die Montage erheblich gegenüber der vorherigen Lösung aus Einzelkomponenten.
 

Autor/in: Urs Kafader

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