maxon Story
Smart ArM: Wo liegen die Grenzen des menschlichen Körpers?
Ein französisches Forschungsteam des Instituts für Intelligente Systeme und Robotik (ISIR) in Paris hat für den Cybathlon 2020 den «Smart ArM» entwickelt. Der Cybathlon ist ein einzigartiger internationaler Wettkampf für behinderte Athlet:innen, die mithilfe von bionischen Hilfstechnologien gegeneinander antreten. Der Smart ArM, eine Armprothese für Menschen nach Oberarmamputation (d. h. oberhalb des Ellbogens), ist das Ergebnis jahrelanger Forschung. Dabei stellte vor allem das Design der Prothese eine grosse Herausforderung dar, denn es musste ein künstlicher Ellbogen geschaffen werden. In diesem Artikel blicken wir zurück auf diese technologische Meisterleistung und ein menschliches Abenteuer.
Der Cybathlon 2020 findet am 13. und 14. November 2020 statt – und zwar aufgrund der Corona-Pandemie global und mit neuem Format in der jeweiligen Heimat der verschiedenen Teams. Diese stellen ihre Infrastruktur für den Wettkampf selbst auf und filmen ihre Rennen. Die Wettkämpfe werden dann von Zürich aus über eine neue Plattform in einem einzigartigen Live-Programm ausgestrahlt.
Ein ehrgeiziges Projekt, das den Bedürfnissen einer bestimmten Behinderung gerecht werden will
Oberarmamputationen sind weniger häufig als Unterarm- oder Handamputationen und wurden in der Forschung lange Zeit recht wenig untersucht. Auch transhumerale Amputation oder, im Falle einer angeborenen Fehlbildung, totale Agenesie des Unterarms genannt, gibt es bei Oberarmamputationen derzeit nur wenige oder überhaupt keine passenden Prothesenlösungen, obgleich diese Behinderung in erster Linie junge Menschen betrifft, die gerne eine Prothese erhalten würden. Angesichts dieser Feststellung startete ein Forschungsteam des Instituts für Intelligente Systeme und Robotik (ISIR) 2014 ein Forschungsprojekt. Die im Team AGATHE (Assistance au Geste et Applications thérapeutiques) zusammengeschlossenen Forschenden erzielten vielversprechende Ergebnisse bei Prothesen für die oberen Gliedmassen. «Nachdem wir beim ersten Cybathlon 2016 im Publikum sassen, wollten wir ein Team gründen, um unsere Vision und unsere Innovationen voranzutreiben», erklärt Nathanaël Jarrassé, ISIR-Forschungsbeauftragter und Leiter des Projekts Smart ArM, der sich für die Optimierung des menschlichen Körpers begeistert.
Synthese von Mensch und Maschine
Zunächst galt es, einen Pilot oder eine Pilotin zu finden. Nach mehrmaliger erfolgloser Suche wurde nach einem Gespräch mit einem Mitarbeiter von maxon, einem Partner des Cybathlon und Lieferanten von Motoren für das ISIR, der ideale Kandidat gefunden: Christophe Huchet, ein ehemaliger Manager von Pariser Restaurants, der heute Unternehmensleiter von KMU coacht. Er wurde mit einer Agenesie des rechten Unterarms geboren und hat eine beeindruckende Schwimmkarriere hinter sich, als mehrfacher Meister sowohl im Behinderten- als auch im Nicht-Behindertensport. «Dieses Projekt bringt mich zurück in den Leistungssport und die damit verbundene Dynamik, die ich in meiner Schwimmkarriere gut kennengelernt habe. Aber dieses Mal im Dienste einer starken Sache: anderen zu helfen und Technologie und Gesellschaft voranzubringen. Für mich ist die Teilnahme an dieser Veranstaltung auch wichtig, weil sie den Blick auf Menschen verändern will, die Prothesen tragen. Ich möchte zeigen, wie aussergewöhnlich jedes «Träger-Prothesen»-Paar ist und diese Allianz von Körper und Technik fördern, die die Behinderung in gewisser Weise «schön» macht», erklärt Christophe Huchet.
Das Smart-ArM-Team wurde 2018 für die Teilnahme am Cybathlon gegründet. Es setzt sich zusammen aus einem Piloten, einem Manager, einem elfköpfigen technischen Team vom ISIR und der ISM-Universität Aix-Marseille sowie einem medizinischen Team. Ein solches Projekt vereint sehr unterschiedliche Forschungsbereiche, von der Mechatronik über die Informatik bis hin zu den Neurowissenschaften und der Physiologie, die helfen, die Prothese richtig mit dem Körper zu verbinden.
«Unsere Teilnahme am Cybathlon war durch mehrere Ziele motiviert, darunter die Förderung der technologischen Innovationen des ISIR, die im intensiven Kontext eines Wettbewerbs getestet wurden. Wir wollten auch die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf diese besonderen Behinderungen lenken und gleichzeitig die realen Möglichkeiten und Grenzen robotischer Hilfstechnologien vermitteln», erklärt Nathanaël Jarrassé. Das Projekt Smart ArM unterstreicht die wichtige Rolle, die der Mensch bei der Synthese von Mensch und Maschine spielt, da wir oft glauben, dass der Erfolg allein auf die Technologie zurückzuführen ist.
Zahlreiche konstruktive Herausforderungen
Das Smart-ArM-Team sah sich mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert, um sein Pilotprojekt auf den Weg zu bringen. Insbesondere betraf das die Entwicklung einer sogenannten «exoskelettalen» Ellbogengelenksprothese, die mit der Anatomie von Christophe Huchet kompatibel ist. «Bei Armamputierten wird der Arm in der Regel im Zuge der Amputation zu einem Stumpf verkürzt, doch Christophes Arm ist normal lang und lässt daher nur sehr wenig Platz für den Einbau eines klassischen endoskelettalen Ellbogengelenks», gibt Nathanaël Jarrassé zu bedenken. Die Forschenden entschieden sich für eine seitlich versetzte Betätigung, um die Achse des prothetischen Ellbogengelenks optimal zu platzieren.
Dies war jedoch bei weitem nicht die einzige Herausforderung, die die Smart-ArM-Prothese darstellte. Da sie für die Teilnahme am Cybathlon entwickelt wurde, musste der Prototyp einer intensiven Nutzung ausserhalb des Labors standhalten können. Ergo: ein robustes und vollständig integriertes Gerät musste her.
Hohe Anforderungen an den Antrieb
Die Wahl des Antriebs für den Prototyp war entscheidend. Mehrere Parameter mussten berücksichtigt werden. Eine sehr intensive, intermittierende Nutzung und ein Schneckenradgetriebe für das Ellbogengelenk mit geringem Wirkungsgrad und hoher Festkörperreibung, die den Startvorgang erschwert – all dem mussten die Getriebemotoren des Prototyps standhalten. Zu berücksichtigen waren auch eine stark schwankende Versorgungsspannung sowie erhebliche Erschütterungen und Vibrationen, da der Prototyp von einer Person getragen werden sollte, die ständig rennt und geht.
Sechs Monate Arbeit waren nötig, um das exoskelettale Ellbogengelenk der SAM-Prothese zu entwickeln. Für den Antrieb hat sich das Team für einen Motor von maxon entschieden. «Ein menschlicher Ellbogen erzeugt bei Geschwindigkeiten über 150 Grad pro Sekunde ein Drehmoment von etwa 15 N/m. Um solche Eigenschaften mit einem kleinen Gelenk und Akkubetrieb nachzubilden, brauchten wir einen extrem leistungsstarken Getriebemotor mit kleinem Durchmesser. Deshalb haben wir uns für die DCX-GPX-Getriebemotoren von maxon entschieden», erklärt Nathanaël Jarrassé. Innerhalb des ISIR werden nicht selten maxon Motoren zur Ausrüstung von Roboter-Prototypen verwendet, die im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte entwickelt werden. «maxon bietet eine sehr breite Palette von Antrieben mit kleinem Durchmesser und Marktmotoren mit perfekt identifizierten Eigenschaften an. Das ist ein grosser Vorteil, denn es ermöglicht eine optimale Dimensionierung unserer Geräte während der Vorentwurfsphasen», ergänzt der Smart-ArM-Projektleiter. Insbesondere die Möglichkeit, den Aktuator online zu bauen und anzupassen hat es den Forschungsteams an der Sorbonne angetan. maxon unterstützte sie dabei mit dem Fachwissen seiner Ingenieur:innen.
Das Smart-ArM-Team hofft, dass die Demonstration seines Know-hows während des Cybathlon 2020 die Übertragung der entwickelten Innovationen auf kommerzielle Produkte ermöglicht. Es ist zuversichtlich, dass sein innovativer Ansatz zur Steuerung der Prothese mittels Körperbewegungen die Hersteller davon überzeugen wird, Partnerschaften einzugehen, die es einer möglichst grossen Zahl von Menschen ermöglichen, von dieser Innovation zu profitieren. «Die Entwicklung von Technologien, die Menschen mit Behinderungen helfen, ist trotz der vielen Herausforderungen äusserst spannend und motivierend», sagt Nathanaël Jarrassé. Während des gesamten Projekts hatte das Smart-ArM-Team vorrangig ein Ziel vor Augen: ein nützliches, gut verträgliches und angemessenes Instrument für Menschen zu entwickeln, die mit Geräten ausgestattet werden möchten. Ein grosses Ziel. Und maxon ist stolz, Teil davon zu sein.
Weitere Informationen finden Sie auf der Smart-ArM-Website.