maxon Story
Robotischer Gefährte
Entlegene Offshore-Anlagen, staubige Minen, schmutzige Abwasserkanäle: Umgebungen von Menschen für Menschen geschaffen. Dennoch ist ihr Betrieb gefährlich. Die Lösung? Der Roboterhund von ANYbotics, der Inspektionen autonom meistern kann. Wir haben eines der grössten Robotikteams Europas in Zürich besucht.
Hinfallen, aufstehen. Immer und immer wieder. Wie muss ich die Füsse setzen? Wie bringe ich Kraft auf? Und wie halte ich mein Gleichgewicht? Lernt ein Kind laufen, tastet es sich über Wochen an die Bewegungen heran. Péter Fankhausers «Baby» lernt ähnlich, obgleich dessen Beine aus Federn, Sensoren und Motoren bestehen. Er berichtet stolz: «ANYmal hat sich das Treppensteigen in einer Simulation selbst beigebracht. Der Roboter brauchte dafür nur wenige Stunden. Und das Fantastische ist, anders als beim Menschen: Tausende ANYmals lernen dank virtueller Kopien gleich mit.» Diese Kopien haben alle das gleiche übergeordnete Ziel, beispielsweise so schnell wie möglich eine Treppe zu erklimmen. Dann werden Störungen eingebracht, wie Sensorrauschen oder Wind. Die Programme lernen, in der Folge selbstständig mit solchen Situationen umzugehen. «Sobald die simulierten Lernprozesse ein Optimum erreicht haben, übertragen wir die Steuerung auf alle realen Roboter», erklärt Fankhauser.
Der promovierte Robotik-Ingenieur sitzt auf einer bunten Sitzgarnitur im Besprechungsraum und berichtet in rasantem Tempo über den Inspektionsroboter, den er zusammen mit acht weiteren Gründungsmitgliedern von ANYbotics, einem Spin-off der ETH Zürich, entwickelt hat. Das hundeähnliche ANYmal könne sich in rauer industrieller und unbemannter Umgebung autonom, also ohne menschliche Steuerung oder WLAN, fortbewegen. Das Besondere: Die Umgebung muss nicht extra roboterkonform gestaltet werden, wie das in grossen Industrie- oder Lagerhallen der Fall ist. Nein, der Vierbeiner findet sich selbst zurecht, vor allem in für Menschen ausgelegten Räumen. Fankhauser verweist auf YouTube-Videos: Dort sieht man die Maschine steile Stahltreppen hoch- und runterkraxeln, Waldspaziergänge über Wurzeln und Kieswege unternehmen. Sie balanciert über schmale Stahlträger, kriecht unter Züge, sucht sich ihren Weg sicher durch wurstdicke Kabelrollen am Boden. Ausserdem kann ANYmal problemlos durch Wasser waten, einen Sandsturm überstehen, rutscht selbst auf einer Schneedecke nicht aus und bringt rückwärtslaufend zur Rushhour an Ostern Schokohasen von Tür zu Tür. Solche Situationen erfordern selbst von Menschen höchste Konzentration.
Ein lächelnder Roboter
Wie schafft der Roboter das? Ist die Programmierung besonders komplex? «Nein, die ist relativ simpel», versichert der Spezialist. Bei einem Rundgang in Zürich erfahren wir mehr. Der ANYbotics-Komplex beherbergt nicht nur Büros und Konferenzräume, sondern auch das Testzentrum und die Produktionsstätte des Unternehmens. Gleich beim Eintreten merkt man: Es liegt etwas in der Luft. Vielleicht ist es das Kribbeln, das man bekommt, wenn man Fortschritte macht. Die freudige Erregung unmittelbar vor einem Wandel, also wenn man spürt, dass man kurz vor einem Durchbruch steht, als wäre man Teil von etwas Grossem. Menschen in Jeans und T-Shirts begrüssen einen fröhlich auf Englisch. 21 Nationen sind hier vertreten und allein im letzten Jahr sind 25 neue Mitarbeitende zum Team gestossen. Gerade wurden neue Räume angemietet und ANYbotics hat erst kürzlich CHF 20 Millionen an Investorengeldern eingeworben. Mit diesem Geld wird nun das neueste Modell des ANYmal, die D-Version, kommerzialisiert. Zu diesem Zweck steht auch eine Strukturänderung an: Bislang fertigt ein kleines internes Team etwa einen Roboter pro Woche. Ab 2022 wird der Inspektionshelfer serienmässig von einem Partner in der Schweiz vom Band gehen.
Doch trotz des Aufschwungs ist ANYbotics auf dem Boden geblieben. Die Start-up-Atmosphäre ist noch da. Im Grossraumbüro hängen Whiteboards mit komplizierten Formeln und Schaubildern, aber hin und wieder mischt sich auch eine Manga-Figur darunter, als sei sie einem Comic entsprungen. An Schreibtischlampen baumeln Plüschtiere. Und in der Küche hängt das preisgekrönte Kunstwerk des letzten Teamwettbewerbs – kleine gerahmte Ölbilder: Ein winkendes ANYmal auf dem Rücken eines Einhorns, ANYmal beim Kraulen durchs Meer, ANYmal schwebend im Weltall. Direkt daneben erstrecken sich riesige Kontinente entlang der Wand mit Fotos von Kunden aus aller Welt. Mittendrin läuft, sitzt und wartet der freundlich dreinblickende Roboter. «Schon beim Prototyp C ging es uns nicht nur um die Funktion des Roboters, sondern auch um die Emotionen, die er durch sein Aussehen hervorruft. Es ist uns gelungen, die Augen so zu platzieren, dass sie freundlich aussehen. Tatsächlich sind das die Kühlöffnungen für den Roboter. Der Mund ist die Tiefenkamera, die dank einer Blende wie lächelnde Lippen aussieht. Solche Kleinigkeiten wecken positive Assoziationen», sagt Fankhauser. Das Gesicht des neuesten Modells ist völlig anders, denn ANYmal D musste für den industriellen Einsatz noch robuster gestaltet werden. Dennoch sieht auch das Nachfolgemodell wohlwollend aus. «Wir wollten einen freundlichen, zuverlässigen und nützlichen Robotermitarbeitenden schaffen, der mit anpackt. Schliesslich soll er die menschliche Belegschaft ergänzen und muss deshalb den Eindruck vermitteln: Ich bin hier, um dir zu helfen. Militärische und polizeiliche Einsätze sind damit ausgeschlossen.»
Er sieht, riecht, hört – und gibt Laut
Vor allem Routine-Inspektionsarbeiten können mit ANYmal automatisiert werden. Dass sich das schnell lohnt, rechnet der ANYbotics-CEO vor: «Jeder Tag, den Betreiber von industriellen Anlagen durch Reparaturen verlieren, kostet gleich mehrere Hunderttausend Schweizer Franken. Die Maschinen müssen also möglichst einwandfrei durchlaufen.» Derzeit sind vor allem Menschen auf Kontrollgang unterwegs. «Und das klappt ganz gut – zumindest, wenn sie die Anlage kennen und Erfahrung haben. Aber es ist aufwendig, teuer und teilweise höchst gefährlich.» Auf Offshore-Anlagen, in der Kanalisation oder in Minen sind Menschen hohem Druck, Elektrizität, gefährlichen Gasen, giftigen Substanzen, Staub und Schmutz ausgesetzt. Deshalb müssen diese Anlagen teilweise abgestellt werden, um eine von Menschen ausgeführte Inspektion zu ermöglichen – und das kostet Geld. Ganz zu schweigen von den Transportkosten. «Spezialist:innen müssen zur Anlage transportiert werden, dabei kostet jeder Helikopterflug mehr als CHF 30000», meint Fankhauser und fügt kopfschüttelnd hinzu: «Manchmal wird ein Flug zur Bohrinsel unternommen, nur um einen Schalter umzulegen.» Im Offshore-Bereich zahlt sich ANYmal daher innerhalb von wenigen Wochen finanziell aus.
Natürlich ist es auch möglich, die Anlagen mit Sensoren auszurüsten, die Auffälligkeiten im Betrieb erkennen. Aber auch das ist komplex und kostet viel Geld. «Ausserdem misst jeder Sensor nur einen kleinen Teil des Gesamtsystems und muss im Laufe der Zeit ersetzt werden», so Fankhauser. Der Roboter hat dagegen den Vorteil, dass er für eine relativ lange Zeit – nämlich drei Jahre Dauerbetrieb – ausgelegt ist und viele Aufgaben gleichzeitig erledigen kann. Der robotische Hund ist stark genug, um Lasten zu tragen. Dank Kameras und Detektoren sieht, riecht, hört er – und gibt Laut, denn er liest Daten von Messgeräten ab und leitet diese weiter. Er nimmt Wärmebilder auf und führt akustische Messungen durch. So merkt und meldet er, wenn Gas austritt oder sich das Brummen einer Maschine oder die Vibration einer Pumpe plötzlich anders anhört.
Leistungsstarke Motoren, kurze Lernzeit
Doch wie bewegt sich der Roboter so sicher durch schwieriges Gelände? Wie lernt er, sich zurechtzufinden? Fankhauser erläutert: «Eine Möglichkeit ist, ANYmal mit in die Anlage zu nehmen und ihm zu zeigen, was er zu tun hat, wie bei neuen Mitarbeitenden. Wir sind dann mit Joystick dabei, während der Roboter den Weg abläuft und eine 3D-Karte erstellt. Für einen einstündigen Inspektionsrundgang durch eine Anlage rechnet man mit einem halben Tag Lernzeit.» Oder aber, noch einfacher, der Roboter lernt virtuell, wenn bereits ein digitales Modell der Anlage existiert.
Die Orientierung funktioniert dank Sensoren, das Laufen mithilfe von speziell für den Roboter entwickelten Elektromotoren. «Uns war klar: Wir brauchen eigene Antriebe. Sie mussten leicht und trotzdem kräftig sein. Daher sind wir die Partnerschaft mit maxon eingegangen. Unsere beiden Firmen passen kulturell sehr gut zusammen und arbeiten jetzt sogar Tür an Tür.» Die vier Gliedmassen des Robotertiers zählen je drei Antriebe. Insgesamt sind in ANYmal zwölf Aktuatoren verbaut. Sie erzeugen die Laufbewegung, lassen die Beine nach aussen oder hinten kippen und veranlassen eine Beugung des Knies. «Die Kraftregelung beim Gehen auf verschiedenen Untergründen ist sehr wichtig. Beim Laufen gibt es Schläge, deren Energie absorbiert werden muss. Zusammen mit maxon haben wir daher ein System mit Federn entwickelt, das den Muskeln und Sehnen nachempfunden ist.»
Lösung und Knackpunkte
Im ANYbotics Testzentrum zeugt der fast bis zur Decke reichende Pizzaschachtelturm von langen Tagen und kurzen Nächten. Stühle, Tische und Computer sind hier wie in einer Zuschauerarena aufgebaut, in der Daten gesammelt und analysiert werden. Auf der Bühne arbeitet sich der fünfzig Kilogramm schwere Roboter an Treppen und Hindernissen wie Backsteinen ab. Der Sicherheitsabstand zur Maschine ist für alle Mitarbeitenden Pflicht. Die Sicherheitszertifizierung hat das Unternehmen viel Zeit und Kraft gekostet. «Aber jetzt ist es geschafft. Wir haben zusammen mit externen Fachlabors ein Sicherheitskonzept für die elektrische und mechanische Sicherheit umgesetzt.» Auch die Schulung der Kund:innen in Sachen Sicherheitsvorkehrungen reduziert die Risiken auf ein Minimum.
Nach 90 Minuten geht ANYmal die Energie aus. Er bemerkt das eigenständig, stampft zur Dockingstation und setzt sich darauf wie die Henne aufs Ei. Fankhauser erklärt: «Man sieht YouTube-Videos von diesem coolen Roboter, der wie ein Hund die Treppe hochläuft. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Gesamtlösung.» Der CEO zeigt auf die Bildschirme der laufenden Computer. «Man muss sich darüber klar sein, wie die Inspektionsdaten zum Kunden gelangen. Wir bieten eine End-to-End-Inspektionslösung an. Die Software kommt mit jährlicher Nutzungslizenz inklusive Software-Updates und Technischem Support.»
Einige Knackpunkte gilt es aber noch zu lösen: Was, wenn jemand eine Tür schliesst? ANYmal stünde ratlos davor. Auch Rost und Risse kann er noch nicht sicher detektieren. Und es wäre gut, wenn er gefährliche Wartungsarbeiten gleich selbst erledigen könnte. Dazu wird in Zürich jetzt mit Greifarmen experimentiert. Eines ist sicher: Der freundliche Roboter lernt fleissig weiter – und der Pizzaschachtelturm wächst.
Beitrag von: Katharina Rilling