maxon Story
Medizintechnik – Inspiration einatmen
Hochschulinitiative rettet Leben mit der Entwicklung und Spende von Beatmungsgeräten für einkommensschwächere Länder.
Von der gegenwärtigen Situation sind fast alle auf diesem Planeten betroffen. Ob mehr oder weniger unterscheidet sich von Person zu Person. Mitten in dieser schweren Krise sind Kollaborationen entstanden und daraus wundervolle, neue Dinge hervorgegangen. Eines dieser wundervollen, neuen Dinge ist das Projekt Inspiration – eine Idee, die aus dem Wunsch entstand, Bedürftigen eine helfende Hand zu reichen.
Das Projekt Inspiration ist eine Initiative der TU Delft, die einkommensschwächeren Ländern Beatmungsgeräte spendet. Die Geräte sind so konzipiert, dass sich die Länder selbst entscheiden können, ob sie die Maschine bestellen oder (teilweise) nachbauen. Das Ziel des Projekts Inspiration ist es, Länder, die einen Mangel an Beatmungsgeräten aufweisen, zu unterstützen und eine medizinische Grundversorgung bereitzustellen.
Gerwin Smit, Assistenzprofessor an der Technischen Universität Delft und Spezialist in den Bereichen Arm- und Beinprothesen sowie medizinische Hilfsmittel, initiierte das Projekt Inspiration im März 2020 zusammen mit Mitarbeitenden und Studierenden, um eine Lösung für den zu erwartenden Mangel an Beatmungsgeräten in der damals aufkommenden Krise zu finden. Die Pandemie brachte mehrere zusätzliche Herausforderungen für die Mediziningenieur:innen mit sich, wie Versorgungsengpässe aufgrund des Shutdowns der chinesischen Lieferkette. Zudem müssen medizinische Geräte eine ganze Reihe an Tests durchlaufen, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen. Dies nimmt natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch und in diesem Fall war der Zeitfaktor ausschlaggebend. Inmitten dieses Chaos fragte sich Gerwin: Wie können wir innerhalb sehr kurzer Zeit eine grosse Anzahl an mechanischen Beatmungsgeräten herstellen, die zertifiziert sind und sich im sicheren Betrieb bewährt haben?
Er kam zu dem Schluss, dass das Konzept bereits eine nachweisliche Erfolgsgeschichte aufweisen sollte und daher auf einem lange vorhandenen Gerät basieren musste. Zudem sollte das Konzept aus einfachen Teilen bestehen, die schnell und leicht hergestellt werden konnten. Gerwin befasste sich mit der Geschichte von Beatmungsgeräten und stiess auf den «East Radcliffe Ventilator», ein in Europa von den 1960er bis zu den 1980er Jahren häufig verwendetes Modell. Er fand des Weiteren heraus, dass das Nationalmuseum von Boerhaave in Leiden in den Niederlanden, ein naturwissenschaftliches Museum mit einer grossen Sammlung an medizinischen Geräten, ein Exemplar dieses speziellen Modells besass. Um die Maschine analysieren zu können, musste die Projektgruppe sie genau unter die Lupe nehmen. Gerwin fasste einen mutigen Entschluss und rief das Museum an. Er fragte die für das Museum zuständige Behörde, ob er die Maschine ausleihen könne – und noch viel wichtiger – sie auseinandernehmen dürfe. Zuerst war das Museum regelrecht bestürzt über diese gewagte Bitte. Die Mitarbeitenden fassen die Maschinen normalerweise nur mit weissen Handschuhen an. Nach reiflicher Überlegung stimmte das Museum aufgrund der ungewöhnlichen Umstände und des guten Zwecks der Anfrage zu.
Gerwin und einige Mitarbeitende holten das Beatmungsgerät ab und transportierten es vorsichtig an ihren Arbeitsplatz, wo sie es an einem Wochenende auseinandernahmen. Sie analysierten das Konzept sowie die grundlegende Funktionsweise und kreierten den ersten Prototypen nur eine Woche später. Die ursprüngliche Maschine war mit einem Parvalux Motor als Antrieb sowie einer Fahrradnabe und einem Fahrradgetriebe für die Drehzahlregelung ausgestattet. Nach einiger Recherche fanden sie heraus, dass Parvalux immer noch existiert und ein solides Unternehmen mit über 70 Jahren an Erfahrung bei der Herstellung von Kleinmotor-Getriebe-Lösungen ist. Dies war eine angenehme Überraschung, da das ursprüngliche Gerät aus den 1960er Jahren stammt. Das Team kontaktierte Lee Weston von Parvalux, um bei der Wahl des richtigen Motors zu helfen. Parvalux meldete sich umgehend mit einigen Mustern zurück. Das Team wählte den Motor PM11-S, ein bürstenbehafteter Permanentmagnet-Gleichstrommotor. Er ist gefedert für einen geräuscharmen Betrieb und besitzt ein hohes Anlaufdrehmoment von bis zu dreifacher Volllast. Zudem verfügt der Motor über einen einstellbaren Bürstenträger für ausgezeichnete Kommutation und maximale Bürstenlebensdauer. Dies ist besonders wichtig, da Menschenleben davon abhängen.
Die ursprüngliche Idee bestand darin, eine mechanische, analoge Maschine zu entwerfen, bei der der Motor das einzige elektrische Bauteil darstellen sollte. Der Druck und das Atemzugvolumen wurden mittels eines analogen Druckmessers und eines Spirometers gemessen. Nachdem das ursprüngliche Modell hauptsächlich mechanisch-analog war, gab es bei einem Ausfall des Geräts keine Warnung. Das Überdenken des Konzepts führte zu einer Änderung im Design. Das Team schlussfolgerte, dass es eine gute Idee wäre, eine Warnfunktion hinzuzufügen, falls die Werte nicht im normalen Bereich lagen. Sie kontaktierten das Unternehmen Interay Solutions b.v., das ihnen mit Rat und Tat bei der Wahl der Elektronik zur Seite stand.
Für den finalen Prototypen wählten sie mit dem ESCON 50/5 – ein kleiner, leistungsstarker 4-Quadrant-PWM-Servokontroller – eine elektronische Drehzahlregelung von maxon. Damit verfügte ihr Beatmungsgerät über eine stufenlose Regelung der Drehzahl.
Nachdem der endgültige Prototyp fertig gestellt war, benötigten sie Unterstützung, um die Herstellung hochzufahren. Dazu kontaktierten sie das Partnerunternehmen Apparatenfabriek ARA b.v., das Schwesterunternehmen von Interay Solutions b.v. ARA produziert Mechatroniksysteme für Erstausrüster und hat seinen Sitz in Aalten in den Niederlanden. Sie waren gleich begeistert und wollten das Gerät gerne selbst herstellen und boten ihre Unterstützung an. Durch die Bereitstellung öffentlicher und privater Mittel konnte ausreichend Kapital gesammelt werden, um mit dem Projekt fortzufahren.
Seither wurden die ersten Beatmungsgeräte des Projekts Inspiration an Guatemala, Panama und Tansania gespendet und geliefert. Das gesamte Gerät ist modular aufgebaut. Jedes Land kann daher ausgehend von den eigenen Ressourcen entscheiden, ob es die Beatmungsgeräte bestellen oder selbst herstellen will. Um das gewonnene Wissen mit der ganzen Welt zu teilen, sind alle Baupläne des Projekts Inspiration als Open-Source-Produkt auf der Website des Projekts erhältlich. Guatemala ist ein grossartiges Beispiel für den Mehrwert, den das Projekt Inspiration bietet. Dort wurde ein Team aufgebaut, das die Geräte vor Ort fertigt. Nur die Elektronik, die neben dem Alarm und Überwachungssystem z. B. auch den Parvalux Motor und die maxon Steuerung beinhaltet, wurde von den Niederlanden bereitgestellt. Nachdem bewiesen ist, dass das Konzept funktioniert, plant Guatemala dank des Projekts Inspiration bis zu 300 Beatmungsgeräte herzustellen.
Weitere Informationen: Projekt Inspiration