maxon Story

Gehen im Namen der Wissenschaft

Trotz Querschnittslähmung läuft Werner Witschi oft kilometerweit. Der Antrieb des 64-jährigen Schweizers: Exoskelette für Menschen mit Behinderung alltagstauglicher machen. Am CYBATHLON 2024 der ETH Zürich wird Werner Witschi deshalb wieder als Pilot antreten. Wenn alles klappt, mit einer Weltneuheit.

 

Ein loser Dachziegel, ein Moment der Unachtsamkeit, ein falscher Schritt – und Werner Witschis bisheriges Leben zerschellt am Boden. Vor zehn Jahren stürzt er bei der Arbeit rückwärts vom Dach. Es ist Werner Witschis letzter Schritt auf den eigenen Beinen, heute sitzt der Mann im Roll­stuhl. «Aber ich lebe noch!», sagt er dankbar. «Und dabei war ich dem Tod näher als dem Leben.» Der 64-Jährige ist von der Brust abwärts gelähmt, besitzt aber eine relativ hohe Stabilität im Ober­körper. «Das nützt mir, wenn ich Exoskelette und Roll­stühle für die beiden enhanced Teams teste und trainiere.» Denn: Werner Witschi ist quasi Spitzensportler und unterstützt mit seinem Engagement die Forschung. Wie das? 

Vom Paraplegiker zum Weitstreckenläufer 

Vor neun Jahren, erst kurze Zeit also nach seinem schlimmen Sturz, traf Werner Witschi das Team VariLeg auf der Handicap-Messe in Luzern. Es arbeitete schon damals daran, Exoskelette für Gelähmte alltagstauglicher zu machen. Und suchte sogenannte Piloten oder Pilotinnen, also Betroffene, die ihre Erfahrungen in Tests mit Exoskeletten und Rollstühlen einbringen. Der weltoffene Werner? Gleich begeistert! Obwohl er für die Tests lange Reisen vom Wohnort Bern nach Zürich zum Training antreten muss. Das Team hingegen schwärmt von seinem Lebensmut: «Werner hat nie aufgegeben oder resigniert. Viele Menschen im Rollstuhl möchten sich nicht so gerne exponieren oder haben mit dem Fuss­gängerleben abgeschlossen», sagt Teamleiterin Silvia Rohner. «Werner aber wurde sogar zum gut vernetzten Botschafter für unsere Teams.»

Werner Witschi also ist der, «der sich nach draussen traut», wie er sagt. Er läuft und läuft, plötzlich im Namen der Wissenschaft: mit dem Exoskelett, kilometerweit, medienwirksam auf steile Berge wie den Pilatus oder das Stanserhorn. Und er tritt als Pilot und Ersatzpilot beim Sportanlass CYBATHLON an, der alle vier Jahre stattfindet, das nächste Mal 2024. 


 

Neue Hoffnung: laufen und fahren

Er zeigt es also allen: Das geht! Aber auch, dass noch viel getan werden muss, um die Assistenzsysteme alltagstauglicher zu machen. «Durch den CYBATHLON sollen Fortschritte für Menschen mit Behinderungen vorangetrieben werden. Er spornt zu Höchstleistungen an und fördert die Vernetzung der Forschenden mit Betroffenen.» Dennoch seien dort Übungen und Bewegungen gefordert, die er im wahren Leben so nicht ausführen würde. Mit einem Exoskelett von einem tiefen Sofa aufzustehen, zum Beispiel. «Dazu muss man schon Spitzensportler sein», weiss er. «Im Alltag kauft man sich lieber eine hohe Couch, damit das nicht nötig ist.»

Neben dem kompetitiven Aspekt, den der CYBATHLON mit sich bringt, fokussieren die Forschenden stark auf reale Probleme, die ein Leben mit Beeinträchtigung mit sich bringt. Zum Beispiel die eingeschränkte Mobilität. «Wenn ich einen Ausflug plane, ist das immer davon abhängig, wie ich mit dem Rollstuhl vor Ort durchkomme», erklärt Werner Witschi. «Wir arbeiten nun an einer Lösung.» Konkret tüftelt das Rapperswiler Team an einer Weltneuheit: dem Projekt enhanced Hybrid, bei dem die Vorteile eines Rollstuhls mit denen eines Exoskeletts kombiniert werden. Ähnlich wie in einem Science-Fiction-Film lässt sich der neue «Transformer», wie das Gefährt liebevoll genannt wird, an die Um­stände der Reise anpassen. Müssen etwa Strecken zurückgelegt werden, fährt Werner Witschi im Rollstuhl. Tauchen Hindernisse wie ein paar Treppenstufen auf, verwandelt sich der Stuhl ins Exoskelett, in dem der Passagier auf­stehen und laufen kann. Danach rollt er wieder nahtlos im Stuhl weiter. Ein weiterer Vorteil, sagt die Team­chefin: «Die meisten Exo­skelette funktionieren nur mit Krücken, womit die Hände blockiert sind. Wir möchten das krücken­lose Laufen ermöglichen, indem wir die Krücken automatisieren.»

Noch ist der Prototyp mit seinen rund 70 Kilogramm zu schwer. «So ein Gerät hat zehn Antriebs­einheiten von maxon. Sie sind sicher, robust, leisten sehr viel und sind leise; es sind die besten Motoren, die auf dem Markt zu finden sind», sagt Silvia Rohner. «Aber wir erhoffen uns für die Zukunft, dass die Technologien insgesamt kleiner und kompakter werden.» Geht alles gut, soll sich die hybride Lösung 2024 am CYBATHLON beweisen. So oder so ist sich Werner Witschi sicher: «Die Entwicklung wird vorangetrieben! Und ich freue mich für alle Menschen, deren Alltag dadurch ein Stück leichter wird!»

Werner Witschi, pilot and wheelchair user

You hardly feel the walking itself anymore in the exoskeleton. You’re strapped into it and you’re standing on the ground, so it takes the weight off you. But it has to be light enough for my wife to be able to lift it into the car.”

Die enhanced Teams

Im Dezember 2015 schlossen sich Florian Hauser als erster Pilot und Mitarbeitende und Stu- dierende der Ostschweizer Fachhochschule (OST) zum ursprünglichen enhanced Team zusam­men. Ziel war es, einen Rennrollstuhl für den CYBATHLON 2016 zu entwickeln. Nachdem das Team die Goldmedaille in der Rollstuhldisziplin gewonnen hatte, wurde 2018 ein zusätzliches Team für die Exoskelett-Disziplin gegründet. Seither sind die beiden Teams Robility enhanced und VariLeg enhanced fester Bestandteil aller grösseren CYBATHLON-Anlässe. Lösungsideen für neue Herausforderungen werden meist von Studierenden unterschiedlicher Disziplinen ausgearbeitet. Falls die Tests positiv ver­laufen, werden die Lösungen durch Mitarbeitende der OST in die Mobilitätshilfen integriert.

Das Engagement von maxon

maxon Produkte werden überall dort ein­gesetzt, wo besonders hohe Anforderungen gestellt werden, etwa im Alltag von Menschen mit Beeinträchtigung. Die Motoren, Getriebe und Steuerungen von maxon werden seit Jahren in Prothesen, Exoskeletten und Roll­stühlen verbaut. Um anspruchsvolle Märkte wie diesen nach vorne zu bringen, investiert das Unternehmen einen grossen Teil des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. maxon hat den CYBATHLON von Beginn an unterstützt. Ohne zu zögern, ist das Unternehmen auch für die dritte Austragung mit an Bord gegangen – als Gold-Partner. Denn: maxon ist überzeugt davon, dass die Lebensqualität vieler Menschen durch neue technologische Lösungen nachhaltig verbessert werden kann.


 

[ FOTOCREDITS: © ETH Zürich / Alessandro Della Bella ]

 

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