maxon Story

Schnapp den Schrott

ClearSpace_DeviceClearSpace_Device

Ein Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) erhielt von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) die Verantwortung über ein 100-Millionen-Euro-Projekt. ClearSpace SA leitet nun ein Konsortium, das die erste Müllbeseitigungsmission in der Erdumlaufbahn ausarbeitet.

Unser Leben hängt immer stärker von Weltraumtechnologien ab. Wir nutzen Satelliten für die Meteorologie, Kommunikation und Navigation oder die Beobachtung von Katastrophengebieten. Gemäss der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) greifen rund 40 Prozent der modernen mobilen Anwendungen auf Satelliten- und Weltraumtechnik zurück. Doch diese Infrastruktur ist gefährdet.

95 Prozent aller Objekte in der erdnahen Umlaufbahn, also in 200 bis 2 000 Kilometer Höhe, sind defekt und nicht mehr steuerbar. Sie sind Weltraummüll – wie abgesprengte Raketenstufen, Solarpanels (u. a. von Satelliten), Werkzeuge, Farbsplitter oder Festbrennstoffe. Und dieser Müll stellt ein Risiko dar für aktive Satelliten und künftige Raumfahrtmissionen inklusive deren Besatzungen. Selbst die Internationale Raumstation ISS musste schon mehrmals Manöver durchführen, um Weltraumschrott auszuweichen.

Konstellationen von Mini-Satelliten

Die Situation verschärft sich aufgrund immer neuer Satelliten, die in die Umlaufbahn gebracht werden. Wurden zwischen 2009 und 2012 pro Jahr noch 50 Raumflugkörper in den Orbit geschickt, sollen es in diesem Jahr bereits 800 sein – Tendenz steigend. Künftig werden die meisten Neuankömmlinge im All Nanosatelliten sein – als Teil von Netzwerkkonstellationen. Das Unternehmen OneWeb beispielsweise begann 2019 mit dem Aufbau einer Konstellation von rund 650 Mini-Satelliten. Diese sollen auch an entlegensten Orten der Erde Internetzugang ermöglichen. Solche Projekte, und auch der aufkommende Raumfahrttourismus, verlangen die Beseitigung von Weltraummüll.

Mit den aktuell über 34 000 registrierten menschengemachten Objekten, die einen Durchmesser von über zehn Zentimetern aufweisen, haben wir einen kritischen Punkt erreicht. Sollte die Menschheit nichts dagegen unternehmen, würden sich bis zum Jahr 2065 schätzungsweise 140 000 Schrottobjekte im Orbit ansammeln. Denn beim Zusammenprall zweier Objekte entsteht jeweils ein Trümmerfeld mit einer Vielzahl an Teilen. Es droht eine gefährliche Kettenreaktion.

Erste Müllbeseitigungsmission der ESA

Nun soll ein Schweizer «Entsorgungssatellit» Pionierarbeit leisten und einen ersten Schrottkörper beseitigen. Bei der 2025 geplanten ClearSpace-1-Mission unter der Leitung des gleichnamigen Start-ups wird die zurückgebliebene «Vespa»-Oberstufe (VEga Secondary Payload Adapter) einer 2013 ins All geschickten Rakete eingefangen und in die Erdatmosphäre geleitet.

Der Prototyp des «Weltraumpflegers» verfügt über einen aus vier Roboterarmen bestehenden «Chaser», mit dem die ausgediente Oberstufe auf einer Höhe von 720 Kilometern ergriffen und bewegt werden soll. Zwölf maxon Antriebe setzen die tentakelartigen Greifarme von ClearSpace-1 in Gang. Danach wird die eingefangene Raketenoberstufe so positioniert, dass sie aus der Umlaufbahn herausgebremst werden kann. Für dieses Prozedere dienen Triebwerke an mehreren Seiten. Bei einem kontrollierten Wiedereintritt verglühen sowohl die Vespa als auch ClearSpace-1 in der Atmosphäre – der grössten «Müllverbrennungsanlage».

Künftige Entsorgungssatelliten sollen diesen Vorgang so oft wie möglich wiederholen. Sie werden auch schwerere Objekte in einer erdnahen Umlaufbahn abtransportieren, um den Platz freizugeben für nachfolgende Weltraumoperationen.

ClearSpace_Process

So wie in dieser Darstellung könnte die erste Müllbeseitigungsmission von ClearSpace ablaufen: Aktuell arbeitet das Unternehmen mit maxon Antrieben, die aus dem DC-Motor DCX 22 L sowie dem Planetengetriebe GP 32 HP bestehen.

«Wir haben von Anfang an wirtschaftliche Gesichtspunkte miteinbezogen»

Seit 2010 arbeiten die Forscher des Raumfahrtzentrums der EPFL in der Schweiz an Weltraummüll-Auffangsystemen. Das daraus gewonnene Ingenieurswissen floss in die Entwicklung von ClearSpace-1 ein. 2017 wurde das Projekt als Spin-off ausgegliedert und kurz darauf die ClearSpace SA gegründet, welche ihren Betrieb im maxon Lab an der EPFL aufnahm. Luc Piguet, CEO und Mitgründer der ClearSpace SA, erinnert sich: «Das maxon Lab ist eine Drehscheibe für den Technologietransfer und daher ideal für Start-ups.» Das wachsende Team von ClearSpace wird inzwischen durch herbeigezogene Spezialist:innen von führenden Raumfahrtbehörden und -unternehmen mit Missionserfahrung bereichert. Im Beirat stehen Koryphäen wie Jean-Jacques Dordain, ehemaliger Generaldirektor der ESA, und der Schweizer Astronaut Claude Nicollier.

Dass ein Start-up die Verantwortung über ein 100-Millionen-Euro-Projekt erhalten hat, ist bemerkenswert. ClearSpace setzte sich 2019 im Alleingang gegen Airbus, Thales Alenia Space (Frankreich) und Avio (Italien) durch. Luc Piguet sagt: «Obwohl wir von unserem eingereichten Antrag sehr überzeugt waren, überraschte es uns, dass wir die Führung über ein Projektkonsortium im Alleingang übernehmen dürfen.» Dabei bleibt er pragmatisch: «Wir haben von Anfang an wirtschaftliche Gesichtspunkte miteinbezogen.» Pro Rückholung sollen möglichst wenig Kosten anfallen. Dies hatte die ESA überzeugt. Mit einem kleinen Lächeln ergänzt Piguet: «Es ist eine grosse Verantwortung, die wir übernehmen.» 

ADRIOS-Programm

Die ClearSpace-1-Mission soll im Rahmen des ESA-Weltraumsicherheitsprogramms ADRIOS (Active Debris Removal / In-Orbit Servicing) die Beseitigung von potenziell gefährlichem Weltraumschrott in Gang setzen. Damit soll der Weg für weitere Missionen geebnet werden, die zu einer verantwortungsvollen Entwicklung des Weltraums beitragen. Acht ESA-Mitgliedsstaaten, darunter die Schweiz, werden dafür 86 Millionen Euro aufwenden. Die restlichen 14.2 Millionen werden durch Sponsoren eingebracht.

Eine 3D-Animation aller um die Erde kreisenden Schrottteile können Sie unter stuffin.space sehen.

Autor/in: Luca Meister

© by © maxon motor ag