maxon Story

Ein Fossil als Freund

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Einen Roboter mit Beinen zum Laufen zu bringen, ist nicht so einfach wie es aussieht. Um die Bewegungen aller Gelenke zu koordinieren und flüssige Bewegungsabläufe zu erreichen, die denen echter Tiere nahe kommen, bedarf es fortschrittlicher Technik und sorgfältiger Beobachtung sich bewegender Tiere. Aber was ist, wenn wir nicht genau wissen, wie das Tier aussieht oder wie es sich bewegt, da es seit 300 Millionen Jahren ausgestorben ist?

Dies ist die Geschichte des Orobates pabsti, eines frühen Tetrapoden, der bereits Millionen von Jahren vor den Dinosauriern lebte. Sein fossiles Skelett wurde 2004 in Deutschland gefunden. Der hervorragende Erhaltungszustand der versteinerten Knochen, nahezu vollständig und beweglich, wurde zudem von fossilen Fussspuren ergänzt, die ebenfalls in der Region entdeckt wurden. Dies half Ingenieur:innen wie mir im Biorobotik-Labor der EPFL (in Zusammenarbeit mit Tomislav Horvat und Auke Ijspeert) und einem grossartigen Team von Biolog:innen (unter der Leitung von John Nyakatura an der Humboldt-Universität zu Berlin), die Bewegungsabläufe des Tieres mit Hilfe eines Roboters nachzuvollziehen.


Doch warum ist die Fortbewegung des Orobates von Bedeutung? Orobates ist ideal dazu geeignet, die Entwicklung der Landwirbeltiere (einschliesslich des Menschen) nachzuvollziehen. Diese Tiere waren die ersten Landwirbeltiere und legten auch ihre Eier an Land. Sie stellen den Übergang von einer amphibischen Lebensweise zum Leben an Land dar. Dies siedelt sie im evolutionären Stammbaum zwischen den Amphibien und höher entwickelten Tieren wie Reptilien, Vögeln und Säugetieren an. Ob Orobates an Land laufen konnte oder nicht kann von entscheidender wissenschaftlicher Bedeutung sein. Etwa um besser verstehen zu können, zu welchem Zeitpunkt Tiere das Land besiedelten. Bewegungsexperimente mit lebenden Tieren sind schwierig, mit einem ausgestorbenen Tier sind sie unmöglich. Wir mussten also einen Weg finden, die Fortbewegung des Orobates objektiv nachzuvollziehen. Wir sahen in Computersimulationen ein geeignetes Werkzeug, aber Beinbewegungen sind schwer zu simulieren. Der gelegentliche Kontakt der Beine mit dem Boden, die Reibungskräfte and den Füßen und die gesamte Dynamik des sich bewegenden Körpers des Orobates mussten in der «realen Welt» bestätigt werden. Daher haben wir das fossile Skelett des Orobates anhand eines physischen Roboters nachgebildet. Dieser Roboter war eine skalierte Version des Fossils, d. h. dass die Grösse des Tieres im Massstab fast verdoppelt wurde. Die Gewichtsverteilung und andere dynamisch relevante Parameter wie die Geschwindigkeit, mit der sich der Roboter bewegen sollte, wurden gründlich analysiert, um sowohl von biologischer als auch von technischer Relevanz zu sein.

«Um ein flüssiges Bewegungsbild zu erzielen, sendet der integrierte Computer des Roboters etwa 100-mal pro Sekunde Befehle an die Motoren.»


Mit dem fertigen Roboter konnten wir eine Reihe möglicher Gangarten testen, mit denen Orobates sich vermutlich zu Lebzeiten fortbewegt hat. Wir haben andere lebende Tiere beobachtet, deren Morphologie dem Orobates ähnelt, darunter einen Salamander, einen Kaiman, einen Leguan und einen Skink. Uns fiel auf, dass ihre Gangarten sich je nach Körpergrösse, dem Bewegungsumfang der Wirbelsäule und der Beinrotation beim Schreiten unterscheiden. Diese Eigenschaften schaffen einen Bereich, in dem die Daten der lebenden Tiere und die möglichen Gangarten des Roboters verglichen werden konnten. Wir haben in diesem Bereich eine Reihe von Gangarten getestet, um den stabilsten und effizientesten Gang zu finden, der Kraftmuster verwendet, die denen der lebenden Tiere ähneln und die möglichst genau zu den erhaltenen Spuren passten. Dabei zeigte sich, dass die wahrscheinlichsten Gangarten des Orobates denen eines Kaimans recht nahe kamen. Dies deutete darauf hin, dass ihre Fortbewegung im Gegensatz zu den bisherigen Annahmen zu diesen frühen Tetrapoden eher fortgeschritten war.

Feldversuch in Afrika


Die Tests mit dem Roboter waren eine grossartige Erfahrung. Er wirkte lebendig. Die Steuerung der Maschine erforderte die Lösung von Problemen in Verbindung mit inverser Kinematik und Dynamik sowie die Koordination der Bewegung von Beinen und Wirbelsäule. Um ein flüssiges Bewegungsbild zu erzielen, sendet der integrierte Computer des Roboters etwa 100-mal pro Sekunde Befehle an die Motoren. Die verwendeten Aktuatoren werden dabei von einem leistungsstarken und effizienten maxon DC-Motor angetrieben. Zum Einsatz kamen insgesamt 28 Aktuatoren, fünf pro Bein und acht in der Wirbelsäule. Selten wurden mit einem so komplexen und dem biologischen Vorbild so ähnlichen Roboter all diese unterschiedlichen Bewegungen über eine Steuerung umgesetzt.


Unsere Erfahrung aus der Konstruktion und Steuerung von Spreizgangrobotern («Sprawling Posture Robots») floss mit in den Bau des Orobates-Roboters ein. Nach der wissenschaftlichen Auswertung des Salamander-Roboters «Pleurobot» (siehe driven-Magazin 2018) liessen wir uns auch von den Gangarten und Morphologien von Nilkrokodilen und Waranen inspirieren, um zwei unserer Roboter zu bauen und zu testen. Wir arbeiteten auch mit der BBC bei der Produktion von Naturdokumentationen in Afrika zusammen. In der fünfteiligen Doku «Spione im Tierreich» sind unsere Roboter am Ufer des Nils inmitten wildlebender Tiere zu sehen. Diese Roboter überlebten zwei Drehwochen unter extremen Einsatzbedingungen und lieferten uns damit wertvolle Erkenntnisse für die Konstruktion und für komplexe Praxisszenarien. Das gilt etwa für die K-Rock-Roboter für den Katastropheneinsatz. Aufgrund ihrer Haltung können sie niedrige Gänge durchqueren. Sie sind zudem schwimmfähig und können sich in überschwemmten Gebieten voller Trümmer und Hindernisse fortbewegen.


Die Entwicklung dieser Roboter, zunächst gemeinsam mit dem Biorobotik-Labor am EPFL, jetzt in meinem privaten Unternehmens KM-RoBoTa (Teil des YEP-Programms von maxon und eines der Start-ups des maxon Innovation Lab in Lausanne), legt die Messlatte für die belastbare Konstruktion tierähnlicher Roboter höher – für Roboter also, die von echten Tieren und deren Bewegungsabläufen inspiriert sind und die viel Potenzial für wissenschaftliche oder für technische Anwendungen bieten.

Aktuatoren der Zukunft


Fortschritte in der Robotik wie diese führen dazu, dass wir darüber nachdenken, welche Antriebsmechanismen wir derzeit einsetzen. Die aktuelle Technologie macht uns schnell – doch hohe Trägheiten können wir schnell und effizient überwinden (Stöße, explosive Bewegungen usw.). Zur Erhöhung des Drehmoments nutzen wir Getriebe, die die Transparenz der Bewegungssteuerung durch Trägheit und Reibung beeinflussen und die Antriebsübertragungsleistung herabsetzen. Neue Wege zur Schaffung besserer Antriebe in verschiedenen Grössenordnungen, von der Softrobotik bis hin zu propriozeptiven Antrieben mit hoher Leistung, führen oft zur Belastung durch sperrige Peripheriesysteme, zur Verringerung der Leistungs- und Drehmomentdichte oder zu einem hohen Energiebedarf, der Ableitungsanforderungen übersteigt.


Schritt für Schritt, so wie sich der Orobates-Roboter in den urzeitlichen Fussabdrücken fortbewegte, entwickeln wir eine bessere Antriebstechnik. Aber wir sind noch weit davon entfernt, unseren Robotern die gewünschten realen, tierähnlichen Fähigkeiten zu verleihen. Zumindest im Vergleich zu dem, was tierische Muskeln zu leisten imstande sind. Im kommenden Jahrzehnt liegt noch ein weiter Weg der Forschung und Entwicklung vor uns, aber es wird ein spannender und lohnender Weg für die Antriebs- und Robotertechnik sein.


Von Kamilo Melo

Bibliographie


John A. Nyakatura*, Kamilo Melo*, Tomislav Horvat*, Kostas Karakasiliotis, Vivian R. Allen, Amir Andikfar, Emanuel Andrada, Patrick Arnold, Jonas Lauströer, John R. Hutchinson, Martin S. Fischer und Auke J. Ijspeert. Reverse-engineering the locomotion of a stem amniote. Nature 565, 351–355; 2019. *Gleichberechtigte Autorenbeiträge.


DOI: 10.1038/s41586-018-0851-2

Autor Kamilo Melo wuchs in Duitama und Bogotá in Kolumbien auf. Heute lebt er in Renens im Kanton Waadt. Er studierte Elektrotechnik und Maschinenbau und promovierte in Robotik. Nach seiner Postdoktorandenstelle am EPFL Lausanne arbeitet und forscht er mittlerweile für sein eigenes Robotikunternehmen KM-RoBoTa.

Autor/in: Kamilo Melo

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