maxon Story
«Dann will ich nur noch laufen, laufen, laufen»


Jährlich landen 130 000 Personen weltweit mit einer Querschnittslähmung im Rollstuhl. Auch Andre van Rüschen. Er kann seit einem Autounfall seine Beine nicht mehr spüren. Trotzdem ist er täglich zu Fuss unterwegs.
Sogar Treppen meistert er inzwischen alleine. Andre van Rüschen hält sich mit der einen Hand am Geländer fest, mit der anderen stützt er sich auf den Gehstock. Seine Beine finden eine Stufe nach der anderen, und oben angekommen, lächelt er. Für ihn ist Gehen ein reines Glücksgefühl.
Denn Andre ist querschnittsgelähmt. Bei einem Autounfall 2003 wurde sein Rückenmark durchtrennt, und seither spürt er den Unterkörper nicht mehr. Trotzdem ist er heute täglich im aufrechten Gang unterwegs. Ein Exoskelett übernimmt die Funktion seiner Beine. Es handelt sich dabei um ein mechatronisches Stütz- und Bewegungssystem, bei dem Motoren die Bewegung der Hüften und Knie übernehmen. Die israelische Firma ReWalk Robotic entwickelt solche Systeme und gilt bereits als sehr etabliert, obwohl der Markt für Exoskelette noch jung ist. Ihre Produkte sind in den USA, in Europa und weiteren Ländern für den Privatgebrauch zugelassen. Mehr als 80 Personen haben heute ein ReWalk-System zu Hause. Mehr als 120 Trainingszentren weltweit sind mit den Geräten ausgestattet.
Andre van Rüschen meldete sich 2012 als Testperson bei ReWalk und wurde daraufhin nach London in ein Trainingscamp eingeladen. Dort lernte er, mit dem Exoskelett zu stehen, zu gehen und sich umzudrehen. Die Steuerung funktioniert über eine Art Armbanduhr und mittels Gewichtsverlagerung. Eine Betreuungsperson stand ihm jeweils zur Seite. Später konnte sich der Familienvater aus Deutschland allein fortbewegen. «Es ist ein grandioses Gefühl, fast wie Schweben. Sobald ich mir das Exoskelett umschnalle, möchte ich nur noch rennen, rennen, rennen.»
Wenn querschnittsgelähmte Menschen wieder selbstständig gehen können, hat das einen positiven psychologischen Effekt. «Wieder mal eine andere Perspektive.» «Den Leuten auf Augenhöhe begegnen.» Aber nicht nur das. Klinische Studien haben gezeigt, dass vermehrtes Gehen und Stehen auch gut für die Gesundheit ist. Menschen, die ein Exoskelett benutzen, haben eine verbesserte Blasen- und Darmfunktion, einen ruhigeren Schlaf und allgemein weniger Schmerzen, sodass sie seltener Medikamente benötigen. Auch bei van Rüschen sind die häufigen Rückenschmerzen und eine chronische Blasenentzündung praktisch ganz verschwunden, seit er wieder gehen kann.
Schneller und damit sicherer
Derzeit verwendet Van Rüschen den ReWalk 6.0. Bei vorherigen Systemen musste die Batterie noch als Rucksack getragen werden. Jetzt ist sie im Gerüst integriert und liefert Energie für einen Tag. Das Exoskelett ist somit komplett selbsttragend. Es lässt sich individuell einstellen und ist für Personen bis zu einer Grösse von 1.90 m und mit einem Gewicht von bis zu 100 kg geeignet. Zudem hat ReWalk ein natürliches Gangbild entwickelt und die Schrittgeschwindigkeit auf 2.6 km/h erhöht. Nutzende sind somit sicherer unter anderen Menschen unterwegs.
Für die Knie- und Hüftbewegungen setzt ReWalk auf vier bürstenbehaftete DC-Motoren von maxon. Die RE 40 Einheiten kommen jeweils in Kombination mit einem Planetengetriebe GP 42 C zum Einsatz, das mit Keramikkomponenten bestückt ist. Dadurch verlängert sich die Lebensdauer der Antriebe merklich – ein entscheidender Punkt im Modell 6.0. Denn laut ReWalk-Produktmanager Andreas Reinauer sind die Exoskelette für fünf Jahre, oder eine Million Schritte, ausgelegt. «Deshalb müssen die Motoren sehr zuverlässig, wartungsarm und kraftvoll bei geringer Grösse sein.» Mit maxon Motor habe man den richtigen Partner gefunden: «Die Projekte werden professionell abgewickelt, Fristen, Spezifikationen und Kostenrahmen stets eingehalten.»
Mit dem ReWalk zum Cybathlon
Exoskelette haben bereits ein beachtliches technisches Niveau erreicht. Doch die Entwicklung geht weiter und wird laut Reinauer in ihrer Dynamik viele Leute überraschen. «Die Systeme werden durch Hightech-Materialien und Synergien aus der Forschung sehr wahrscheinlich kleiner, leichter und intelligenter werden.»
Ein ebenso wichtiger Punkt ist die Finanzierung solcher Exoskelette (Kosten rund 70000 Euro) durch Krankenkassen. Zwar haben Krankenkassen in einzelnen Fällen bereits die Kosten übernommen, selbstverständlich ist das aber noch nicht. Deshalb will ReWalk für mehr Akzeptanz kämpfen – u. a. mit der Teilnahme am Cybathlon-Wettkampf, der 2016 in Zürich stattgefunden hat. «Wir wollen zeigen, dass geübte Exoskelett-Anwendende neben alltäglichen Hindernissen auch einen schwierigeren Parcours bewältigen können.» Andre van Rüschens Teilnahme war letztlich ein grosser Erfolg – er gewann das Exoskelett-Rennen mit seinem ReWalk-Anzug.
Cybathlon
Beim Cybathlon treten Parathlet:innen mit modernster Technologie gegeneinander an. Dazu gehören unter anderem sechs Disziplinen für motorisierte Rollstühle, Arm- und Beinprothesen und Exoskelette. Gewinnen tut, wer einen Hindernisparcour so korrekt wie möglich durchläuft. Die benötigte Zeit spielt hierbei nur die Zweitrolle. Der Cybathlon findet zum ersten Mal am 08. Oktober 2016 in der Schweiz statt. 59 Teams aus aller Welt nehmen teil. Die Idee für das Event stammt von der ETH Zürich, die damit Barrieren zwischen Menschen mit Behinderungen, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit abbauen will.
cybathlon.ethz.ch
Bildrechte
ReWalk; maxon motor; ETH Zurich